MEINUNG: Global Task Force for public media
Ursprünglich in Le Monde veröffentlicht

Angriffe auf öffentlich-rechtliche Medien sind Angriffe auf die Demokratie

30.07.2020

Anfang Juni kündigte Facebook an, Inhalte von staatlich kontrollierten Medien zu kennzeichnen. Dies ist die jüngste Verlautbarung in einer laufenden Debatte über den Unterschied zwischen staatlichen und öffentlich-rechtlichen Medien, die für Bürgerinnen und Bürger in Demokratien weltweit bedeutsam ist.

Staatliche Medien haben die Funktion die Interessen von Regierungen zu unterstützen. Ihre Rolle ist es sicherzustellen, dass Bürger*innen über Ereignisse so informiert werden, wie es den jeweils an der Macht Befindlichen genehm ist. Dabei mag die Berichterstattung bisweilen akkurat und unbeeinflusst sein, zu oft wird sie aber dafür genutzt, kritischen Stimmen entgegenzuwirken und Probleme, Gegner*innen und Peinlichkeiten aus der Geschichte zu tilgen.

Öffentlich-rechtliche Medien dagegen haben die Aufgabe den Bedürfnissen der Bürger*innen zu dienen. Auch wenn keine Organisation der anderen gleicht  – sie sind ein Produkt unterschiedlicher Länder und Kulturen –  teilen sie gemeinsame Grundwerte, wie z.B. die Verpflichtung zu Unabhängigkeit,  Gemeinwohl, Objektivität, umfassender Versorgung, Vielfalt, Sorgfalt und hohen journalistischen Standards. Wegen dieser Werte genießen öffentlich-rechtlichen Medien ein hohes Maß an Vertrauen bei den Öffentlichkeiten, denen sie dienen.

Desgleichen haben alle öffentlich-rechtliche Medien den Auftrag zu informieren, zu bilden, zu unterhalten und den Dialog mit der Bevölkerung in ihren jeweiligen Ländern zu führen. Sie spielen eine wichtige Rolle für die vielfältigen und kreativen Kulturen in ihren Ländern. Doch vor allem haben sie alle die Verpflichtung, die Demokratie zu stärken, indem sie ihre Bürger*innen informieren und die Regierenden in die Verantwortung nehmen.

Es erfordert Mut von jeder Regierung, den Auftrag von Organisationen zu schützen und zu unterstützen, zu deren Aufgaben die öffentliche Kontrolle ihrer Handlungen gehört; dennoch haben Regierungen demokratischer Staaten genau das getan – die meiste Zeit des vergangenen Jahrhunderts -, oft mit der breiten Unterstützung der Parlamente. Darum sind ihre Länder auch stabiler.

Damit geht auch die Erkenntnis einher, dass der Informationsbedarf in Demokratien nicht allein vom Markt wahrgenommen werden kann, ganz zu schweigen in die Hände derjenigen gelegt werden sollte, die sie für den Ausbau ihrer Macht nutzen könnten. Medien, die frei von kommerziellen Interessen sind und dazu eine überzeugende und attraktive Alternative anbieten, haben einen klaren Mehrwert für die Gesellschaft.

Der Stellenwert öffentlich-rechtlicher Medien – und das Vertrauen der Bürger*innen, das sie ihnen entgegen bringen – zeigte sich besonders deutlich in der COVID-19 Krise. Mit zunehmender Kenntnis von der Pandemie, nutzten die Zuschauer*innen in Rekordzahlen den öffentlich-rechtlichen Medien wegen ihrer vertrauenswürdigen, genauen und verlässlichen Nachrichten und Informationen; als die Bevölkerung zunehmend isoliert war, nutzten sie sie in ebenso großer Zahl als einen Ort, wo sie Unterhaltung finden und beisammen sein können.

In einer Zeit in der öffentlich-rechtliche Medien notwendiger denn je sind, wird  weltweit ein beunruhigender Trend erkennbar. Regierungen in einer Reihe von Ländern untergraben die Unabhängigkeit und Grundlagen öffentlich-rechtlicher Medien und drängen sie dazu, zunehmend als staatliche Medien zu fungieren. Anscheinend hat diese Verschiebung kaum Beachtung gefunden und bleibt nahezu unangefochten, während die Gesellschaft mit den Realitäten von COVID-19 kämpft.

In Polen hat im Mai die plötzliche Entfernung eines regierungskritischen Lieds aus der Playliste des Musiksenders Trojka die Debatte über Medienfreiheit und politischer Einflussnahme auf die polnischen Medien neu entfacht. Jüngste Berichte zur Art und Weise wie das nationale Fernsehen Telewizja Polen (TVP) über den Präsidentschaftswahlkampf informiert hat, deuten darauf hin, dass der Sender zunehmend vom Staat unter Druck gesetzt wird. Die OSZE stellte in einem Nachwahlbericht am 29. Juni sogar fest, dass TVP „wie ein Kampagnenvehikel für den Amtsinhaber agierte“.

In Slowenien attackierten in den vergangenen Monaten Vertreter der größten und stärksten Regierungspartei den nationalen öffentlichen Rundfunk Radiotelevizija Slovenija (RTS). Diese Angriffe nahmen nach investigativen Reportagen zu Reaktionen der Regierung auf die Pandemie weiter zu. Jetzt drohen Regierungsvertreter dem Sender offen mit personellen Konsequenzen und einer gesetzlichen Änderung, die die Finanzierung von RTS verringern würde.

In der Tschechischen Republik kamen kürzlich bei den Ernennungen für das Aufsichtsgremiums des nationalen öffentlichen TV Česká televize (CT) auch Personen in den Ausschuss, die eine dezidiert politische Haltung gegenüber dem Sender einnehmen. Sie versuchen die Erfolge des Senders abzuwerten und in Zweifel zu ziehen, vor allem während der Beratungen des Haushalts und in Hinblick auf die Leistung der Führung von CT.

In Hongkong werden das Management und die internen Abläufe des öffentlichen Senders Radio Television Hong Kong (RTHK), dessen Charter redaktionelle Unabhängigkeit garantiert, einer Überprüfung durch die Regierung unterzogen. Dieser Untersuchung mangelt es nicht nur an unabhängiger Aufsicht, sie erfolgt auch kurz nach der Absetzung eines populären Informationsprogramms, nachdem die Hongkonger Polizei sich über einen dort ausgestrahlten satirischen Beitrag beschwert hatte.

In dem Maße in dem die Fähigkeit dieser Medien eingeschränkt wird, mit unabhängiger Berichterstattung zum öffentlichen Diskurs beizutragen, wird auch ihr öffentlicher Nutzen reduziert und das Vertrauen, das die Bürger*innen in sie haben. Durch diese Schwächung einer essentiellen demokratischen Institution, wird die Demokratie in diesen Ländern selbst geschwächt.

In einer Zeit, in der unabhängige öffentlich-rechtliche Medien für Demokratien wertvoller sind wie nie zuvor, ist es von entscheidender Bedeutung, dass politische Entscheidungsträger*innen und Politiker*innen diese Unabhängigkeit und die des Journalismus insgesamt unterstützen und verteidigen.  Das gilt vor allem in einer Zeit, in der Journalisten*innen weltweit zunehmend bedroht und angegriffen werden.

Starke öffentlich-rechtliche Sender sind eine Kraftquelle für die Demokratien der Welt. Nun ist es Zeit für Mut und Führungskraft – für demokratische Regierungen, ihr Engagement für öffentlich-rechtliche Medien und deren Fundament unter Beweis zu stellen.

Sie sollten das in dem Wissen tun, dass dies die Gesellschaft  bereichert, sie robuster macht und ihren Zusammenhalt fördert.

Global Task Force for Public Media

  • David Anderson, Managing Director, ABC (Australia)
  • Thomas Bellut, Director General, ZDF (Germany)
  • Delphine Ernotte Cunci, President & CEO, France Télévisions (France)
  • Tony Hall, Director General, BBC (United Kingdom)
  • Jim Mather, Chair of the Board, RNZ (New Zealand)
  • Hanna Stjärne, Director General, SVT (Sweden)
  • Catherine Tait, President & CEO, CBC/Radio-Canada, GTF Chair (Canada)
  • Yang Sung-dong, President & CEO, KBS (South Korea)

Die ‚Global Task Force for Public Media‘ ist ein weltweites Netzwerk öffentlich-rechtlicher Medien.
Global Task Force for public media